Mit Kindern im Bus - eine Reise durch Namibia
„Würd ich nie machen“, stand in ihren Gesichtern geschrieben, „Viel zu gefährlich. Gibt’s da nicht Malaria und Löwen? Und der lange Flug...“ Kurzfristig war ich verunsichert von den Sorgen der Katalog-Mütter, die ihre Kinder selbst in der Krippe am liebsten videoüberwacht sähen. Ich bin cool und frei und abenteuerlustig rede ich mir ein und schöpfe neues Selbstvertrauen. Immerhin habe ich die Organisation an mich gerissen und mit ihr die Leitung einer 10-tägigen Reise durch Namibia im VW-Bus. Mit 6 großen, 2 kleinen und einem winzigen Menschen. Alles Freunde und Familie.
Mücken waren nicht die einzige Sorge bei der Vorbereitung der Reise mit Kindern. Aber die Größte. Eingedeckt mit biologischen Waffen zur Abwehr gegen die Plagegeister fuhr ich los. TÜV beim Kinderarzt. Die meisten Sprays kamen aus Schweden und wer, wenn nicht die, kennen sich damit aus. Abgesehen vom Arzt natürlich. Nach Afrika? „Großartig, dann mal los!“, gibt er grünes Licht und Tipps zur Reiseapotheke. Ich atme auf und freu mich vor. Nach sechs Monaten Babybespaßung zwischen miefigen Windeln und angesabberten Lätzchen, endlich wieder hinaus in die Welt, den Duft des Abenteuers schnuppern, die Süße des Unbekannten schmecken. Dorthin, wo die Stille schreit, die Weite die Krümmung der Erde ahnen lässt, wo Zebras um Wasser streiten und Antilopen die Wüste streifen.
Die ersten Schritte gehen über die Landebahn. Ankunft in Windhoek, einer Stadt, der wir kaum Beachtung schenken. Fehlplanung, denn Windhoek hätte einen Blick verdient. Der deutsche Einfluss hat sich hier bis heute halten können, wo sonst in Afrika gibt es Buletten und Brezeln, die Bauern Stube und eine Luisen-Apotheke?
Die Straße schlängelt sich in engen Kurven hinauf in Richtung Sesriem. Der aalglatte Straßenbelag weicht einer Sandpiste. Noch ahnen wir nicht, dass Namibia zu 90 Prozent aus Schotterstrassen besteht. Der Bus wird zum schaukelnden Boot, Greta ist schlecht, die Kinder schreien nach Reisegold, meiner Wunderwaffe gegen Übelkeit. Wir halten kurz an zum Verschnaufen, suchen nach Salzstangen und warmer Cola. Doch schon der Blick auf die Horde Paviane lenkt ab vom Unwohlsein. Sophie singt und fragt: „Wer hat die Kokosnuss geklaut?“
Was am Anfang entzückend aussieht, entpuppt sich als Alptraum. Schlimmer als die Duschszene in „Psycho“. Die Affen rücken näher.
„Nicht meine Schoki“, empört sich Sophie und verstummt das Lied. „Nicht die Sonnenbrille“, schreie ich. Frieda schläft. Die Affen toben sich aus, der Alte steht Schmiere. Mit so einem Alphamännchen möchte man sich nicht anlegen, der hat Zähne aus Eisen und ist flink und schlau. Nachdem der letzte Affe mit unserem Brot unterm Arm Leine zieht und den geenterten Bus wieder frei gibt, räumen wir auf und pusten los vor Lachen, bis die Tränen in der Mittagsonne vertrocknen.
Rostbraune Berge wachsen aus der sandigen Ebene in den Himmel, Oryx huschen über den trockenen Boden und trotzen der Mittagshitze. In der Ferne eine Tankstelle, ein paar Häuser und ein kleiner Imbiss mit dem besten Apfelstrudel seit Oma im Omahimmel wohnt – das ist Sesriem, das Tor zu Sossusvleij.
Und unser nächstes Übernachtungsziel.
Kurz nach Sonnenaufgang brechen wir auf. Dorthin, woher die Namib ihren Namen hat. „Leerer Platz“ oder „Ort, wo nichts ist“ heißt es übersetzt. Die Wüste trägt ihren Namen zu recht: Dünen und Dürre so weit das Auge blicken kann. Dabei ist Sossusvleij nur ein kleiner Teil der mehr als 300 km langen und 140 km breiten Dünenlandschaft. Und wir mitten drin. Uns stockt der Atem. Hier hat die Natur sich mal wieder selbst übertroffen. Seit weit über hundert Jahren zerreißen Bäume die Landschaft. Einer von ihnen tritt als Schattenspender in den Dienst, während sich ein Teil aufmacht, den Big Daddy zu erklimmen. Mit seinen 350 Metern ist er der weltweit höchste Sandberg und zugleich herrlicher Aussichtspunkt über das Dünenmeer. Doch der muss erst mal erreicht werden. Mit jedem Höhenmeter schwindet der Elan, ich komme kaum voran: einen Schritt voraus, einen halben wieder hinab. Und dann die Sonne. Bloß nicht schlappmachen. „Wäre ich doch nur unten geblieben“, quengelt sich ein Gedanke ins Gehirn. Aber nein, mal wieder hoch hinauf, es allen zeigen, zu unüberlegt mit wenig Wasser, schlechtem Schuhwerk und dürrer Kondition im Gepäck. Kurzer Blick nach oben, noch ein paar Schritte und dann habe ich es doch geschafft und werde prompt belohnt. Was für ein Blick über den endlosen roten Sand und welch ein Gefühl dort oben zu stehen: winzig und demütig vor der Gewaltigkeit der Natur.
Der Weg hinab geht weitaus schneller. Ein paar Hüpfer weiter stehen wir am Auto und fahren los.
In Richtung Wolvedans. Dem einzigen, dafür riesigen Luxus, den wir uns auf dieser Reise gönnen. Ein Camp ganz für uns alleine, mit Wasserstelle, Sternenhimmel, Tieren und einem Koch, der unsere Wünsche von den Lippen liest, wie ein Fährtenleser die Spuren. Und das alles mittendrin in diesem Nichts aus karger Schönheit.
Die Lodge hat sich dem Landschaftbild angepasst und sich den Schutz der Natur zum Ziel gesetzt. Das Gästecamp wird zu 100 Prozent mit Solarenergie betrieben. Ein effektiver Schachzug, denn Sonne gibt es hier ja reichlich mit täglich 8 Stunden im Jahresdurchschnitt.
Schon früh morgens kitzelt sie am Fuß und weckt uns auf. Kalt ist es. Saukalt. Aber der freie Blick von unserem Bett direkt in die Namib wärmt. Langsam klettert die Sonne über die Berggipfel und taucht das Licht in ein warmes Ockergelb. Eine Oryx tänzelt zur Wasserstelle. „Pscht!“ flüstert Greta andächtig, blättert in ihrem Tierbuch und deutet siegessicher auf die richtige Antilopenart. Nur die Elefantenspuren entpuppen sich als Papas Fußabdrücke.
Zeit zum Üben und Spurensuchen gibt es weiter nördlich.
In Etosha tragen die Touristen Tarnklamotten: Safarihemd, Safarihose, Safarihut und - könnte man einen Blick erhaschen - wahrscheinlich auch Safarischlüpfer. Unsere Kinder tragen Pink, Glitzer und Blümchen. Doch davon lassen sich die Tiere nicht verscheuchen. Bereits kurz hinter dem Gate die ersten Zebras. Was für eine Freude: verkleidete Ponies! Wir haben alle Hände voll zu tun, die Mädchen am Aussteigen zu hindern - Verhaltenstipp Nummer eins innerhalb der Nationalparkgrenzen! Gefolgt von: nicht Angeln, kein Wildern, kein Füttern der Tiere. All das haben wir nicht vor. Wir wollen nur gucken und sind ganz verliebt in das, was sich vor unseren Augen abspielt: gelenkige Giraffen an den Wasserstellen, behäbige Nashörner, drollige Warzenschweine, Löwendamen auf der Suche nach Nahrung für die Familie – es scheint, als hätten sich alle afrikanischen Vierbeiner hier versammelt, um für einen Naturfilm zu casten.
Immer wieder drängeln sich Zebras vor das Objektiv. Zuhause würde man von einer Plage sprechen, hier ist es ein einmaliges Erlebnis für uns Großen wie Kinder gleichermaßen.
Mit Kindern reisen ist anders. Sie geben einem die Chance innezuhalten, den Blick auf die kleinen Dinge zu werfen. Ihre Neugier ist ansteckend. Begeistert strecken sie ihre Hände nach Sachen, die wir nicht sehen, wie Ameisen im Sand oder Wolkengebilde am Himmel.
Namibia haben wir bereits vor acht Jahren bereist. So lange hat das Projekt „Reisebericht“ geschlummert. Heute ist das Mädchen groß und hat schon einen Teil der Welt gesehen. Der Text soll ein kleiner Mutmacher sein. Ein Mutmacher für Reisen ins Ausland, in unbekanntes Terrain, in ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang.
Herzlichst,
Eure Sanni
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